Carillon 2020
Pobitzer-Passage, Meran
Die großformatige Installation Carillon ist sowohl ein raumplastisches Materialbild als auch ein bespielbares Instrument, eine Kombination aus Bild- und Tonkunst. Auf seiner mechanischen Ebene bezieht sich das
Werk auf das historische Glockenspiel mit seinen Ursprüngen im 16. Jahrhundert. Die Glocken als traditionelle Klangkörper wurden durch verschiedenartige Fundstücke aus Metall ersetzt. Diese werden durch computergesteuerte Magnet-Hämmer angeschlagen oder können über eine Tastatur bespielt werden.
Die Installation aus Metallrelikten unterschiedlicher Arten und mit unterschiedlichen Oberflächen — von rostigen über vernickelten bis hin zu vergoldeten Teilen — ist auf eine wandfüllende geradlinige Trägerstruktur montiert. Die Anordnung inspiriert sich andeutungsweise
an der Systematik der Notenschrift und übersetzt sie ins Skulpturale.
Das humorvoll inszenierte Arrangement von recycelten Objekten bricht Hierarchien und herkömmliche Konnotationen wie „edel“ und „unedel“ zugunsten eines gesamtheitlichen Zusammenspiels auf und wird in verschiedenen Tonwerken und wechselnden Interpretationen immer
wieder neu zum Klingen gebracht.
In regelmäßigen Abständen erwacht die „schlafende“ Wand zu einem lebendigen Klangkörper; dann durchströmt, weitet und entgrenzt sie die Ordnung und die Dimension des Raumes.
In ihren Ruhephasen lässt sie nur im Stundentakt einen Laut erklingen.
Marion Piffer Damiani
Ich habe mein Ohr in das imposante „Carillon“ versetzt, um aus 41 Klangcharakteren in meinem Kopf ein einziges Instrument zu konzipieren. Für mich ergab sich eine völlig neue Hörerfahrung, dennoch nutzte ich auch Hörgewohnheiten. In minutiöser Arbeit teilte ich die Einzelklänge in Klangfarben und Tonhöhen ein, was aufgrund von Mehrfachklängen und unvorhersehbaren Obertönen alles andere als einfach war. Die große und umso reizvollere Herausforderung bestand für mich darin, mit den von Manfred A. Mayr ausgewählten und angeordneten Fundstücken zu arbeiten, ohne auch nur ein einziges auszutauschen. Die mir übergebenen Klänge habe ich in ein Klangsystem integriert, sie gedreht, gewendet und zusammengestellt (komponieren stammt vom lateinischen „componere“=zusammenstellen). Die weitläufige Akustik der Pobitzer-Passage wird genutzt um aufzurütteln und den Zuhörer gleichzeitig in den Klang einzubinden. Aus scheinbarer Statik entsteht musikalische Dynamik.
Die einmal täglich erklingende Tonfolge ändert sich im Wandel der Monate, zur vollen Stunde ertönt zudem untertags jeweils ein Schlag.
Manuela Kerer