vorarlberg museum
„Man könnte (…) im Abdruck eine für dieses Jahrhundert typische Form der Kritik an der klassischen Repräsentation sehen – die jedoch einen grundlegend anderen Weg einschlägt als die Abstraktion, denn statt sich radikal vom dargestellten Gegenstand, vom ‚Realen’ abzuwenden, wendet der Abdruck sich ihm radikal zu, so radikal, dass er in der Berührung jede optische ‚angemessene Distanz’, jede Konvention oder Evidenz der Sichtbarkeit, der Erkennbarkeit, der Lesbarkeit subvertiert.“
Georges Didi-Huberman
(in „Ähnlichkeit und Berührung. Archäologie, Anachronismus und Modernität des Abdrucks“, Köln 1999)
Terra Sigillata
Der Entwurf von Manfred Alois Mayr für die Fassade des Vorarlberger Landesmuseums sieht ein flächenfüllendes ornamentales Muster in Betonabguss vor. Die Keimzelle des blütenartigen Motivs im unendlichen Rapport ist der Boden einer PET-Flasche, jener bruchfesten seit den 1970er Jahren gebräuchlichen Kunststofflaschen für Softdrinks und Wasser. Die Form eines industriell angefertigten Gebrauchsgegenstandes der Gegenwart gelangt durch das Ornament an die Oberfläche, zur Sichtbarkeit, und gerinnt zur prägnanten Markierung, zum Logo des Museums - zu einem Ornament mit informativer Funktion.
Das Gestaltungskonzept geht von der Frage aus, welche Inhalte im wörtlichen Sinn das Museum „prägen“. Die Matrix, die Gegenform zur Ausgestaltung des Fassadenreliefs, gründet auf dem Selbstverständnis des Museums als „Schatzkammer des Landes“ mit seinen zahlreichen Objekten aus Archäologie, Geschichte und Bildender Kunst. Das Thema Fassade wendet sich der Außenseite des (immobilen) musealen Behälters, Speichers zu. Im Museum selbst wiederum finden sich zahlreiche (mobile) Behälter und Gefäße aus unterschiedlichen Materialien wie Ton oder Glas. Alltagsobjekte wie die seinerzeit in hoher Stückzahl (bis zu 10.000!) hergestellten Schalen aus der Römerzeit bilden Zeugnisse aus dem Alltagsleben in der Spätantike. Im Fokus der Sammlung und Forschung des Museums steht also nicht nur Einmaliges und Einzigartiges, sondern gleichermaßen das Alltägliche und Serielle, das durch die historische Distanz in dem Maß an Alltäglichkeit verliert wie es an Kostbarkeit gewinnt.
Die Intention des Museums als Gedächtnis der Alltagskultur und sein diskursives Inventar bilden im künstlerischen Entwurf von Manfred Alois Mayr den Ausgangspunkt für eine Verschränkung von Vergangenheit und Gegenwart, von Handwerk und Massenproduktion, und konkret für den Brückenschlag von der Römerschale zur thermoplatischen Getränkeflasche unserer Tage, aber auch von der Tonerde zum Substrat aus Betonguss. Der Anachronismus der PET-Flasche gerinnt in diesem Zusammenhang zu einem Tribut an die Modernität und „Globalisierung“ der Römerschale. Thermoplastik ist bei 250°C formbar wie Wachs, vollautomatische Prozesse verwandeln „Vorförmlinge“ (Preforms) in Endprodukte. Die künstlerische bzw. künstliche Fossilisierung dieses zeitgenössischen Konsumbehälters an der Museumsfassade distilliert die Antiquität aus der Banalität des Alltäglichen, verleiht formalen Qualitäten wie sie sich aus maschinellen Produktionsbedingungen ergeben, eine subversive Präsenz - umso mehr durch die Betrachtung an der Unterseite. An der Ornamentik der Fassade manifestiert sich die immanente kulturelle Logik des Museums als hintersinniges Beziehungsfeld von Rarität und Konsumartikel, Original und Kopie, Unikat und Massenware.
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Cukrowicz Nachbaur Architekten
Urs B. Roth - Atelier für Konkrete Kunst
Foto: Adolf Bereuter
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